Die Erde kümmert sich um uns – nicht wir um die Erde!

Es gibt große Delegationen bei der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe. Manche, wie die Orthodoxen fallen schon durch ihre Kleidung auf. Auch kleinere Delegationen können auffallen, wenn sie in traditioneller Kleidung in Erscheinung treten. Überhaupt ist dieses Welttreffen vieler Kirchen bunt und vielfältig. Nicht nur der Kleidung wegen, sondern auch im Blick auf Themen und Herausforderungen, die in den Blick genommen werden.

Die westliche Kultur wird herausgefordert

Nicht nur in Karlsruhe verschaffen sich die »kleineren« Gruppen Gehör, die politisch oder gesellschaftlich, aber auch im religiösen und manchmal auch im kirchlichen Bereich eher an den Rand gedrängt sind. Es fällt auf, wie selbstverständlich die westlich geprägte Kultur diesen Menschen und Volksgruppen Unrecht angetan hat. Das Beharrungsvermögen westlicher Kultur und kirchlicher Prägungen ist längst nicht überwunden. Ein Gespräch mit einem evangelisch-methodistischen Pastor aus den USA gibt Einblick in die Erfahrungen an den Rand gedrängter und bedrohter Kulturen.

Romantisiert und fast ausgerottet

Als »Indianer« wäre Pastor Glen Kernell »früher« bezeichnet worden. Sein Name in seiner Stammessprache ist »Chebon«. In Zeiten korrekter Sprache wird es schwerer, den Menschen, der mir gegenübersitzt zu benennen. Ein »Indigener«? Klingt sehr korrekt, aber im Alltag reden wir so nicht. Ein »Eingeborener«? Das klingt in unseren Ohren heute nicht so gut, ist aber die wörtliche Übersetzung des lateinischen »indigen« ins Deutsche. Dann doch besser »Ureinwohner«?, was dem Alltagssprachgebrauch wohl am ehesten entspräche, aber auch nicht ganz ohne Unwohlsein ins Schriftliche wandert. Es ist der einige Male von meinem Gegenüber verwendeten englischen Bezeichnung »first nations«, also »erste« oder »früheste Nationen«, wohl am nächsten.

Wie dem auch sei. Mir sitzt Chebon gegenüber, und im direkten Gespräch ist es viel einfacher als beim Schreiben. Die »Korrektheit«, oder besser die aufrichtige Zuwendung findet im aufmerksamen Zuhören statt. Ich muss auch nicht viel mehr als zuhören, weil Chebon erzählt. Interessant erzählt. Schmerzvoll erzählt. Bereitwillig, aber auch sehr ehrlich mitteilt, was ihn und seine Geschichte ausmacht. Diese ist viel schöner, mächtiger, bedeutsamer und reicher als das, was »wir« mit unserer überlegenen »zivilisierten« Kultur daraus gemacht haben – nämlich romantisiert und fast ausgerottet.

Denn von den Menschen und Völkern Nordamerikas, die von den neuankommenden Europäern angetroffen wurden, sind heute gerade einmal noch 0,004 Prozent übrig, erklärt mir Chebon. »Ich bin einer von ihnen«, sagt er. In der Ruhe, mit der er das sagt liegt Stolz und Schmerz. Die andere Zahl, die zur Gesamtsumme von hundert Prozent führt, nennt er auch: 99,996 Prozent. Wo diese Zahl fällt, ist die innere Schlussfolgerung, erschließt sich sofort das Wort »alle«. Das exakte »fast alle«, zahlenmäßig ja korrekt, klänge geradezu untertreibend.

Menschen, die sich Gehör verschaffen wollen

Aber da sitzt einer von diesen null-komma-null-null-vier Prozent und bezeichnet sich dann mit dem englischen Wort »survivor«, also »Überlebender«. Angesichts der Prozentzahlen ist das sofort klar: Die auf dem nordamerikanischen Territorium ankommenden Europäer entpuppten sich nicht als Besucher und Entdecker, wie es schönschreibend oft heißt. Schlussendlich war es eine rauschhafte Eroberung und Aneignung eines ganzen Landes, eines ganzen Kontinents. Die Bevölkerung mit einer Hunderte, ja Tausende Jahre alten Kultur wurde überrannt, unterdrückt, abgemetzelt, Familien getrennt und Kinder umerzogen.

Aber sie sind noch da, und Chebon ist einer von ihnen. Er gehört zur Volksgruppe der Seminolen und ordnet sich darin dem »Clan«, also dem sehr großen Stamm der »Muskogee Creek« zu. Von diesen Volksgruppen der ursprünglichen Bewohner des nordamerikanischen Kontinents befänden sich über einhundert verteilt über das heutige Gebiet der Vereinigten Staaten von Amerika. Von absoluten Zahlen ist in dem Gespräch nicht die Rede. Aber was bedeuten Zahlen, wenn hier Gruppen von Menschen sind, denen ihre Rechte genommen wurden. Denen tatsächlich ihre Vor-Rechte und ihre Daseinsberechtigung gewaltsam genommen wurden und die auch heute noch darum ringen müssen, wahrgenommen zu werden.

Es sind Menschen, die sich Gehör verschaffen wollen und die ihnen zustehende Rechte einklagen, Menschen, die für ihr kulturelles Leben als Nachfahren einst großer Völker ausreichend große Teile des ihnen ursprünglich gehörenden Landes zugesprochen bekommen wollen. Sie wollen nicht nur abgeschoben sein in entlegene, teilweise verschmutzte und vergiftete Landstriche. Sie wollen Land, das ihnen nicht gleich wieder streitig gemacht wird, weil sich »darunter« plötzlich Bodenschätze befinden. Verständlich. Unterstützenswert. Aber bis heute nicht wirklich zugestanden.

Die Anliegen der Ureinwohner zur Sprache bringen

Das Gespräch bewegt sich durch Chebons Leben, durch das der Volksgruppen der Ureinwohner Nordamerikas und der heutigen in vielen anderen Teilen der Welt schon längst ebenfalls bedrohten Volksgruppen indigener Bevölkerungen. Chebon hat als Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) mehr als zehn Jahre lang in Gemeinden in Oklahoma gearbeitet. Der Bundesstaat liegt im zentralen Süden der Vereinigten Staaten und birgt heute die Heimat der Seminolen. Dorthin wurden sie aus ihrem ursprünglich Siedlungsgebiet im Südosten Nordamerikas, dem heutigen Bundesstaat Georgia, umgesiedelt.

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