Christi Liebe drängt zur Solidarität

Die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) ist Geschichte. Neun Tage lang, vom 31. August bis zum 8. September tagte sie in Karlsruhe und damit in der über 70-jährigen Geschichte zum ersten Mal in Deutschland. Am Schlusstag der Veranstaltung verabschiedeten die Delegierten zahlreiche Dokumente zu verschiedenen Themenbereichen, zu denen in den Tagen zuvor verschiedene Gremien getagt hatten und in Plenumsveranstaltungen Anmerkungen und Fragen eingebracht wurden, die in die Schlussdokumente eingearbeitet wurden. Mit einem Gottesdienst endete die Tagung. Der nächste Versammlungsort steht noch nicht fest.

Die Einheit ist in der Liebe Christi verankert

In einer Botschaft zum Abschluss der Karlsruher Tagung riefen die Delegierten am zurückliegenden Donnerstag zur »Heilung unseres lebendigen Planeten« auf. »Wir werden die Kraft zum Handeln aus einer Einheit schöpfen, die in der Liebe Christi verankert ist«, heißt es in der Botschaft mit dem Titel »Ein Aufruf zum gemeinsamen Handeln«. Ziel sei es, Frieden zu schaffen und zu bewahren. Damit knüpfe die Botschaft an Texte der Vollversammlungen von 1948 in Amsterdam und 1975 in Nairobi an.

Im Text der Botschaft wird vor Katastrophen gewarnt, die direkt auf eine verantwortungslose und zerbrochene Beziehung mit der Schöpfung zurückgingen und zu ökologischer Ungerechtigkeit und der Klimakrise geführt hätten. In dem Maße, in dem der Klimanotstand Fahrt aufnehme, vergrößere sich auch das Leiden von mittellosen und an den Rand gedrängter Menschen. Bezugnehmend auf das Thema der Vollversammlung, »Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt«, betonen die Delegierten, dass die Liebe Christi sie dazu dränge, in Solidarität vor Gott zu treten und »gemeinsam zu handeln und für Gerechtigkeit einzutreten«.

Denkt nicht nur an die Ukraine!

Schon vor dem Beginn der Vollversammlung war einer der Streitpunkte die Teilnahme einer Delegation der Russisch-orthodoxen Kirche, die immerhin die größte der 352 Mitgliedskirchen des Weltkirchenrats ist. Vor der Vollversammlung wurde mehrfach deren Ausschluss gefordert. Die erhoffte dialogische Begegnung der Delegationen der Russisch-orthodoxen Kirche und der sich von ihr lösenden Orthodoxen Kirche der Ukraine kam in den Tagen von Karlsruhe nicht zustande.

Hinter den Kulissen der Veranstaltung habe die ÖRK-Leitungsebene mit beiden Delegationen Kontakt gehabt, was quasi »eine Art indirekter Dialog« war, erklärte der geschäftsführende ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca auf der abschließenden Pressekonferenz. Bei kritischen politischen oder kirchlichen Auseinandersetzungen gebe es »eine Bandbreite zwischen diplomatischen Verhandlungen und Schweigen«, erklärte Petra Bosse-Huber, die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Für den Konflikt dieser Kirchen sei die Zeit in Karlsruhe »so irgendwie dazwischen gewesen«.

Die zu diesem Konflikt verabschiedete Erklärung unter dem Titel »Krieg in der Ukraine, Frieden und Gerechtigkeit in der Region Europa« verurteilt schlussendlich die »illegale und nicht zu rechtfertigende« russische Invasion in die Ukraine und erneuert den Ruf nach einem Waffenstillstand und den sofortigen Abzug russischer Truppen. Die Erklärung bekräftigt nachdrücklich und erneut die Formulierung, dass »Krieg mit der Natur Gottes unvereinbar ist«. Die »Weggemeinschaft der weltweiten Gemeinschaft von ÖRK-Mitgliedskirchen« stehe hinter den betroffenen Menschen. »Wir beten gemeinsam für alle Opfer dieses tragischen Konflikts in der Ukraine, in der Region und auf der ganzen Welt, dass ihr Leid ein Ende haben möge und sie Trost finden und ein sicheres Leben und Würde für sie wiederhergestellt werden möge.«

Zu Anfang der Vollversammlung hatten sich Delegierte aus anderen Teilen der Welt zu Wort gemeldet, dass die europazentrierte Betrachtung des Krieges zwischen Russland und der Ukraine die Wirklichkeit verzerre. Es sei verständlich, dass eine Erklärung dazu gefordert werde, allerdings gebe es noch andere Regionen und Kirchen in dieser Welt, die von massiven Auseinandersetzungen, Genozid und Verfolgung betroffen seien. Es sei dann nur folgerichtig, wenn der ÖRK auch dazu Erklärungen abgebe. Infolgedessen gab es weitere, kürzere Erklärungen zur Beendigung des Krieges und Friedensbemühungen auf der koreanischen Halbinsel, zu den Folgen des Nagorno-Karabach-Kriegs von 2020, zur Situation in West-Papua und zum Syrisch-Aramäischen Genozid.

Eine Kompromissformel rettet die Erklärung zur Situation im Nahen Osten

Im Vorfeld zur Karlsruher Versammlung war der immer wieder dem ÖRK gegenüber geäußerte Vorwurf hochgekocht, im Nahost-Konflikt einseitig Partei für die Palästinenser zu ergreifen. Konkreter Anlass dafür waren Bestrebungen, aus der Vollversammlung heraus Israel zum Apartheid-Staat zu erklären. Der befürchtete Eklat blieb aus.

Das zum Abschluss verabschiedete Dokument formulierte einen noch mit heißer Nadel gestrickten Kompromiss: »In jüngster Zeit haben zahlreiche internationale, israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen und juristische Gremien Studien und Berichte veröffentlicht, in denen die Politik und die Handlungen Israels als ›Apartheid‹ im Sinne des Völkerrechts beschrieben werden.« Weiter ist dann davon die Rede, dass einige Kirchen und Delegierte nachdrücklich die Verwendung dieses Begriffs unterstützten, da er die »Realität der Menschen in Palästina/Israel und die völkerrechtliche Lage zutreffend beschreibt«. Andere dagegen hielten ihn für »unangemessen, wenig hilfreich und schmerzhaft«.

Die EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber hatte in der Diskussion der Erstfassung des Dokuments in einem leidenschaftlichen Appell »in aller Deutlichkeit« davor gewarnt, von Israel als einem Apartheidstaat zu sprechen. In einer schriftlichen Erklärung erklärte sie, dass diese tiefe Verbundenheit mit Israel für die deutschen Kirchen »ein kostbares und unverdientes Geschenk« sei, das »auf dem Boden unendlicher deutscher Schuld, auch der Mitschuld unserer eigenen Kirchen« entstanden war. Auf dem Hintergrund »dieser doppelten Solidarität mit Israel und Palästina werden wir auch in Zukunft zusammen mit unseren Geschwistern auf beiden Seiten des Konflikts für einen verlässlichen und gerechten Frieden im Nahen Osten kämpfen«.

Trotz der verabschiedeten Kompromissformel heißt es im Abschlussdokument auch, dass die israelischen Siedlungen im Westjordanland ein Hindernis auf dem »Weg zu einem gerechten Frieden« in der Region seien. Die sich ausbreitenden israelischen Siedlungen »in den besetzten palästinensischen Gebieten« seien »nach internationalem Recht illegal«. Die Ausdehnung der Siedlungen und die damit einhergehende verstärkte israelische Militärpräsenz hätten das Leid der palästinensischen Gemeinschaften vergrößert, da deren Ländereien und Besitztümer weiter beschlagnahmt worden seien und die systematischen Schikanen und Angriffe durch die israelischen Siedler zugenommen hätten.

Allerdings heißt es auch, dass die Situation für die palästinensische Bevölkerung durch die »schwerwiegenden Versäumnisse der palästinensischen Behörden, einschließlich der Repressalien gegen Oppositionsführer und des Mangels an rechtlicher und demokratischer Rechenschaftspflicht« noch verschlimmert werde.

Die Situation könne letztlich nicht mit Gewalt, sondern nur mit friedlichen Mitteln in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht gelöst werden. Dabei bekräftigte die ÖRK-Versammlung »den rechtmäßigen Platz des Staates Israel in der Gemeinschaft der Nationen und erkennen seine legitimen Sicherheitsbedürfnisse an». Gleichzeitig wird »das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung« unterstrichen. »Wir sind der Überzeugung, dass nur durch ein Ende der Besatzung und eine gerechte, umfassende und dauerhafte Friedensregelung die Sicherheit sowohl der Palästinenser als auch der Israelis gewährleistet werden kann.«

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